Irgendwie bringts das nich...
Von Stefan Finger
wäre mit Sicherheit die Antwort, falls ein eingefleischter Mark Brandis-Fan auf die Idee kommen würde, einem vierzehn oder fünfzehn Jahre alten Jugendlichen einen Band der einst so erfolgreichen Science Fiction Serie in die Hand zu drücken und ihn zum Lesen auffordern würde. Warum nur? Wenn wir wüßten, warum dieser fiktive Jugendliche das Buch nicht anrühren oder nach wenigen Seiten gelangweilt bei Seite legen würde, dann könnten wir nachvollziehen, warum diese einst so beliebte Serie eingestellt werden mußte, dann wären wir uns endlich im Klaren, aus welchem Grunde das Interesse des Lesers so außergewöhnlich stark nachließ. Wo könnten die Ursachen liegen?
Wieso verschwand MB von der Bildfläche?
Das erste Buch der Weltraumpartisanen erschien Anfang der siebziger Jahre. Es erntete großen Erfolg. Die jüngsten der damaligen Leser werden wohl vierzehn oder fünfzehn Jahre alt gewesen sein, die Begeisterung war offensichtlich groß. Heute interessieren diese Bücher niemanden mehr. Die Bände selber können sich allerdings nicht verändert haben, nicht ein einziges Wort wurde abgewandelt, gestrichen oder ersetzt. Andererseits können sie aber auch nicht abgegriffen sein, bekanntlich sind sie dazu zu unbekannt. Was hat sich also seit den glorreichen Zeiten geändert? Ist der vierzehn oder fünfzehn Jahre junge Mensch von damals nicht mehr der vierzehn oder fünfzehn Jahre junge Mensch von heute? Oder sind die Abenteuer des Commander Brandis für die Jugendlichen der neunziger Jahre nicht mehr abenteuerlich genug?
Sicherlich, die Zeiten haben sich geändert. Es hat so etwas wie eine sexuelle Revolution gegeben, obwohl nicht ganz klar ist, wer denn nun gewonnen hat, die Autos sind schneller und das Fernsehen bunter geworden. Seit einigen Jahre redet alles vom Umweltschutz und jeder ist sozial engagiert, die Technik ist fortgeschritten und die Hippies ausgestorben.
Flower Power gibt's nicht mehr, aber alle wollen sowohl als auch noch zur Natur, dafür entfernte sich die Musik von dieser um so mehr Aber wie ist es möglich, das eine Bücherserie, die zwar zu dieser Zeit erschienen ist, sich aber mit der fernen Zukunft befaßt, nach so wenigen Jahren unmodern geworden ist? Und das, obwohl die Botschaft angesichts der schwindenden Zivilcourage und der ansteigenden Fremdenfeindlichkeit aktueller denn je ist.
Erlebnisse in enger Gemeinschaft im Glänze der unveränderlichen Sterne, ferne Welten jenseits unserer Vorstellungskraft, eine Erde ähnlich der heutigen (oder damaligen) und doch so anders. Stolze Raumschiffe, flinke Transporter, überwältigende Bauwerke auf Venus, Mars und Uranus, Reisen durch die Unendlichkeit des Weltraums und manchmal auch der Tiefsee, Intrigen, Verschwörung und Verrat, Rettungen in letzter Sekunde und aus schier hoffnungslosen Situationen in aller Herren Länder - veraltert, unmodern, langweilig?
Noch verfügt niemand über Raumschiffe dieser Art. noch gibt es keine Visiophone oder Tiefseependler. Es gibt weder Metropolis noch große Raumstationen fern draußen im All. Kein Mensch hat den Mars oder die Venus bisher betreten und Helikopter werden nur von den wenigsten Zeitgenossen geflogen - und doch ist das Interesse an den Geschichten, die in diesem einst so aufregenden Milieu spielen geschwunden, gar versiegt? Es ist und bleibt unverständlich und nicht nachvollziehbar. Offensichtlich muß die Art der Präsentation dieser in sich geschlossenen Welt wohl nicht mehr abenteuerlich genug sein, offensichtlich hat die Technik inzwischen neue Wege für die Erzählung von Geschichten gefunden bzw. neue Möglichkeiten für die Beschäftigung der Jugendlichen von heute gefunden. Ja, das wird es wohl sein. Die Umgebung, in die der vierzehn oder fünfzehn Jahre junge Mensch von heute hineingewachsen ist, bietet mehr als das stupide Herunterlesen von aneinandergereihten Buchstabenkombinationen, die den zu Unterhaltenden auch noch zu Denken sowie zum Umsetzen von Schrift in Vorstellung zwingen, bevor die Unterhaltung einsetzen kann. Die interaktiven Geräte, genannt Computer bieten offensichtlich einen viel amüsanteren Zeitvertreib, so sei es denn.
Mark Brandis - heute genauso gut wie früher, heute so jung und schön wie vor zwanzig Jahren, doch der Leser ist nicht mehr derselbe. Das verlangen nach "Action" ist gestiegen, die Ansprüche sind gewachsen, Raumschiffe, die Monate von der Erde zum Uranus brauchen sind da schon lange nicht mehr das Richtige, wenn schon ein Buch in die Hand genommen wird, dann muß es da richtig zur Sache gehen. Vier oder fünf Schüsse und schon sind die Energiekammern leer - bei Krieg der Sterne ist das aber alles viel königlicher, da wird zwei Stunden lang nur geballert und von einer Dimension in die andere gesprungen, ha!
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an den Mißerfolg eines wirklich großen Filmes, der mir wirklich sehr nahe ging. In den frühen achtziger Jahren schuf der amerikanische Regisseur Michael Cimino einen wirklich großen Film namens Heaven's Gate. Ein episches Meisterwerk mit knapp vier Stunden Länge über das harte Leben der osteuropäischen Siedler in den USA, ein Western der Superlative. Dieser Film wurde der größte Flop der Filmgeschichte. Warum?
Der Film war hervorragend, doch die Leute, das Publikum war auf einem ganz anderen Trip. Die Star Wars-Welle hatte ihren Höhepunkt erreicht, die Leute wollten Tricks und Action sehen, Fantasy und SR Raumschiffe, Sensationen, nur nichts Ernsthaftes. Ein guter, solider Film wie Heaven's Gate, ein Western, ein Film ohne mutierte Gesichter und außerirdische Wesen hatte da keine Chance. Der Film ging geradewegs an den damaligen Interessen des Publikums vorbei. Wenige Jahre später war eben jenes Publikum übersättigt, jeder hatte genug. Die Goldgrube war versiegt, die unglaublichen Geschichten konnte niemand mehr sehen.
Genau zu diesem Zeitpunkt schlug ein Film ein wie eine Bombe - Zeit der Zärtlichkeit mit Jack Nicholson. Ein Film ohne Technik und Abenteuer, ohne fremdartig anmutende Wesen und ferne Welten. Eine Geschichte über das Schicksal einer handvoll Menschen, eine Story über Gefühle und Hoffnungen, Leid, Kummer und Freude ganz normaler Menschen wie du und ich. Ein Riesenerfolg.
Wäre Heaven's Gate zu dieser Zeit in die Kinos gekommen, er hätte sich rentiert.
Der Erfolg eines Filmes, eines Buches, eines Theaterstückes scheint wirklich abhängig zu sein von den Launen des Publikums, vom jeweiligen Trip. Für die Mehrheit scheint der Zug namens Mark Brandis wohl endgültig abgefahren zu sein. Die Bücher, obwohl sie kaum ein Jugendlicher kennt und somit völlig frei von Vorurteilensein müßte, passen nicht mehr in die Welt, in der er lebt. Sagen wir besser, daß sie durchaus in die Welt hinein passen, in der er lebt, doch er will sie dort nicht haben, wie es scheint. Die Welten, in die ein Computer mit seinen Spielen führen kann, müssen wohl wesentlich abenteuerlicher und vor allem viel fremder sein, als die des Commander der VEGA, vor allem kann man am Rechner selber mitmischen und muß sich das Ende nicht vorschreiben lassen. Aber soll das etwa heißen, daß heutzutage nicht mehr viel gelesen wird? Dieser Vermutung widersprechen die Statistiken, Zahlen und Daten. Offensichtlich ist das Printmedium "Buch" doch nicht ganz so veraltet wie angenommen, doch die Ansprüche an die SF haben sich gewandelt. Ein Buch, daß sich mit der Zukunft befaßt, muß natürlich futuristischer sein als die Gegenwart und die nächste Zukunft. Oder ist der Bedarf an geschriebener SF überhaupt nicht mehr so groß wie damals, als das Heute noch Zukunft war und das Jahr 1987 noch so fern lag, daß man ohne weiteres davon ausgehen konnte, daß man Atommüll im Kilimandscharo einlagert und mit einer riesigen Betonplatte verschließt.
Nun, nichts ist von Dauer in diesem Universum. Besser, Mark Brandis ging in der Blüte seiner Jahre als daß die Serie in Wiederholungen und gesunkenem Niveau untergegangen wäre. Und wenn die Leute von heute die Geschichte des Commanders und seiner Crew nicht mehr lesen wollen, dann bringen sie sich selbst um einen unvergleichlichen Genuß. Zu hoffen bleibt nur, daß sie an den modernen Vergnügungen keinen Schaden nehmen und auch ohne die wissenswerten Lehren des Gesamtwerkes auskommen und ihren Weg für die Zukunft ebnen können. Zukunft war schon immer mit Hoffnung verbunden, daran wird auch der Fortschritt nichts ändern.