Der Commander lebt!
Von Stefan Finger
Science Fiction. Eine Welt, in der alles möglich ist. Die Menschen reisen mit Lichtgeschwindigkeit und oftmals auch schneller. Man springt von einer Galaxie in die andere und hält sich in der Dimension auf, in der es einem gerade am besten gefällt.
Feinde gibt es wie Sand am Meer und nur man selbst ist unverwundbar hinter den superhypermega Schutzschildern und Unsichtbar-Faktoren, die die eigenen Laserprotonenphotomegaspezialkanonen natürlich nicht daran hindern, auf Objekte das Feuer zu eröffnen, die das hypergalaktische Radar in einer Entfernung von 50 Millionen Lichtjahren ausgemacht hat. Man transformiert sich entsprechend den eigenen Bedürfnissen in die Unsichtbarkeit hinein oder verwandelt sich in irgendwelche Objekte, beamt sich von A nach B und kommuniziert mittels Gedankenübertragung.
Verhandlungen mit bereits Verstorbenen, Vernichtung ganzer Sonnensysteme und Begegnungen mit exotisch anmutenden Wesen aller Art sind an der Tagesordnung, Feuergefechte mit anderen Schiffen dauern oft über Tage und Wochen, denn die Laserkanonen haben immer genug Munition, sprich Energie, um ganze Flotten zu vernichten. Ist das nicht herrlich? Eine Welt ohne Grenzen, ohne Hindernisse und somit auch ohne jeden Bezug zur Realität. Genau das richtige für Menschen, die mit der Welt, wie sie ist, nicht klarkommen und gerne einmal Herrscher über das Universum werden wollen.
Ist das schon alles? Ist das wirklich alles, was das Genre SF für den anspruchsvollen Leser zu bieten hat? Muß sich jeder, der sich gerne mit etwas ernsthafteren Dingen befaßt, enttäuscht abwenden und wieder zu Tolstoi, Brecht und Hemmingway greifen? - Nein, noch ist es nicht so weit. Einem kleinen gallischen Dorf in der Antike gleichend hält ein, im allgemeinen für tot erklärter Commander die Stellung und bietet mit zweieinhalb Dutzend Bänden eine komplette Serie als Lektüre, die sich zwar zum Genre der SF zählt, dieser aber eigentlich nicht angehört. Worum handelt es sich? Was ist das für ein Commander und was hebt ihn von der restlichen, kindlich-naiven Welt der SF ab und der eigentlich eher einem Genre angehört, das es leider gar nicht gibt: der Extended Reality - der erweiterten Wirklichkeit?
Commander Mark Brandts lebt in einer Welt, der wir Menschen des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts immer näher kommen. Er ist ein Mann, der am Ende seiner Karriere als Kommandant von Raumschiffen aller Art eine Bilanz zieht und seinen Lebensabend mit dem Verfassen seiner Memoiren verbringt. Seine autobiographischen Erzählungen beginnen im Jahre 2069 und schreiten jeden Band ein gutes Stück voran. Der Leser betritt eine Welt, die der Realen sehr ähnelt. Kommen wir zu den politischen Aspekten.
Ähnlich der realen ist auch diese zukünftige Welt in zwei Blöcke geteilt, dem Osten und dem Westen. Der Westen steht für Freiheit, Gleichberechtigung sowie Recht und Ordnung. Der Osten ist ein diktatorisches Regime, dem der westliche Bürger voller Unkenntnis und Unverständnis gegenübersteht. Die fremde Kultur ist den Menschen jenseits der Grenze völlig unbekannt und somit oftmals unheimlich. Der Westen trägt den Namen EAAU Europäisch-Afrikanisch-Amerikanische Union - ein Zusammenschluß dieser drei bzw. vier Kontinente, wenn man Nord- und Südamerika trennt. Desweiteren gehört noch das assoziierte Australien dazu. Diesem Bund demokratischer Kontinente stehen die VOR voller Angst, Mißtrauen und Feindschaft gegenüber. Die Vereinigten Orientalischen Republiken bestehen aus China, Japan, Korea und dem Rest des asiatischen Raumes. Jetzt kommt schon die erste Portion SF: die Venus, der Mond und später auch der Uranus sowie zeitweise auch der Mars gehören ebenfalls dazu - zum Glück aber zur EAAU. Desweiteren verfügen beide Supermächte über einige Weltraumstation.
Gesellschaft: Die Armut ist immer noch nicht besiegt. Rassistische Vorurteile sowie Ungerechtigkeit und Diskriminierungen gibt es ebenfalls. Vor allem Afrika gehört zu den Sorgenkindern der EAAU, denn gerade dort hinkt die Entwicklung dem Rest der Union hinterher. Es gibt weiterhin ordentliche Gremien, Gerichte, eine vom Staat getrennte Kirche. Religionsfreiheit und ein administratives System, das dem unseren gleicht. Da wäre das Militär mit seiner strategischen Raumflotte und eine Gesellschaft für Astronautik, der VEGA, Venus-Erde Gesellschaft für Astronautik, mit dem halbautonomen Status einer zivilen Raumfahrtbehörde, für die Commander Brandts arbeitet. Die Hauptstadt dieser ehemaligen Union ist Metropolis, die im geographischen Dreieck der drei Kontinente erbaut wurde, also mitten im Atlantischen Ozean.
Technologie: Die Technologie ist zwar mit Siebenmeilenstiefeln vorangeschritten, doch sind die Menschen immer noch in der Lage miteinander zu reden und sich zu lieben - wie Brandts und seine Frau Ruth O'Hara. Briefe braucht man nicht mehr zum Kasten zu bringen und sie dort bis zur nächsten Leerung liegen zu lassen - am führt sie einfach in einen Schlitz in der Wohnung ein und ab geht die Post durch ein unterirdisches Transportsystem. Telefone sind durch Fernseher ersetzt, d.h. man telefoniert, während man seinen Gesprächspartner gleichzeitig auf dem Bildschirm sehen kann. Die Medizin hat völlig neue Möglichkeiten und vor allem der Transport von Gütern und Personen ist völlig revolutioniert. Die Straßen sind wieder frei - der Verkehr ist in den Luftraum verlagert worden und jeder kann und darf diese Luftfahrzeuge benutzen und auch selbst fliegen. Wer Geld hat, kann sich natürlich auch ein Transportmittel kaufen, das den Luftraum verlassen kann und sich im luftleeren Raum zu bewegen vermag. z.B. eine Diana. Mit diesen bescheidenen Raumfahrzeugen ist allerdings nicht mehr drin als ein Besuch in Las Lunas, der einzigen Stadt auf dem Mond. Der Aktionsradius dieser privaten Raumschiffe ist zu gering um eine der Plattformen oder die Venus zu erreichen. Die Playboys, die es dennoch versuchten oder schwere Fehler in der Navigation machten, endeten als erfrorene, erstickte und mummifizierte Leichen, irgendwo im kalten Glanz der Sterne.
Die staatliche Seite des Transports sieht da doch ganz anders aus. Raumschiffe, die bis zu fünfzig oder sechzig Meter in die Höhe ragen, verfügen über Aktionsradien bis hin zur Venus, zum Mars und je nach Band - denn die Bände der Serie schreiten zeitlich gesehen voran und bergen Weiterentwicklungen der Technologie in sich, auch bis hin zum Uranus und an den Rand des Sonnensystems. Obwohl die Schiffe immer größer und vor allem schneller werden, bieten sie kaum mehr Platz als die U-Boote des zweiten Weltkrieges. Die Besatzung von meist etwa acht Mann lebt und arbeitet auf engstem Raum und spiegelt somit stets die Gesellschaft der Erde und ihre Konflikte wieder. Für einen Flug zur Venus brauchte man mit dem schnellsten Schiff des ersten Bandes, also der Delta VII, einem atomar angetriebenen Schiffstyp, dessen Entwicklung mit der Delta IX einige Jahre später ein Ende findet, während bereits die ersten Protonentriebwerke Geschwindigkeiten ermöglichen, die sich im Prozentbereich der Lichtgeschwindigkeit befinden, immerhin noch zwei volle Monate. Im letzten Band hingegen benötigt ein ziviles Raumschiff nicht länger als eine Boeing 747 von Deutschland nach Australien.
Was machen die Abenteuer dieses Commanders zu einem besonderen Erlebnis?
Die Romane von Mark Brandts stellen meiner Meinung nach eine echte Besonderheit dar, da sie ebenso vielschichtig sind wie die heutige, reale Welt. Technik, Transport, Gesellschaft, Politik, die Menschlichkeit, die Familie, die Freundschaft, die Probleme sowie die Vor- und Nachteile - ja, alles ist enthalten. Gerade dies ist der Grund, warum die Romane in sich und übergreifend so hervorragend funktionieren. Man glaubt wirklich, ein Tagebuch zu lesen, gleichzeitig aber ein Abenteuer in den Händen zu halten, bzw. eine Schilderung der heutigen politischen / wirtschaftlichen Welt. Ist es vielleicht eher eine echte SF-Welt, die sich nur mit den Sternen und dem Raum befaßt? Oder vielleicht doch eher eine Serie, die über die Erde im nächsten Jahrhundert berichtet und ab und zu die Atmosphäre verläßt? Um ehrlich zu sein, mir fehlen die Worte.
Der Leser entdeckt fremde Welten und lernt dabei die eigene immer besser kennen. Er fliegt mit in all den Raumschiffen, die Brandis kommandierte, wie die Delta VII, die Ares l, die Hermes, die Kronos und die Raumrettungskreuzer der späteren Bände.
Man steht immer dicht neben dem Commander und wird teil der Crew, die repräsentativ für die irdische Gesellschaft steht und die aus einem Russen, einem Zigeuner, einem Farbigen, einem Indianer, einem Südafrikaner, einem Griechen und einem waschechten Preußen besteht - je nach Band und Zyklus. Oftmals spiegeln sich die rassistischen Konflikte der Erde in dieser kleinen Lebensgemeinschaft wieder - und der jugendliche Leser kann dank dieser "Tagebücher" nur zu gut lernen, wie traurig und unsinnig all diese Vorurteile doch sind. Das abgedroschene Sprichwort bewahrheitet sich einmal mehr: Wir sitzen alle in einem Boot.
Die Laserbatterien der Kampfschiffe sind schnell entleert und müssen an einer Station wieder aufgeladen werden, sonst ist das Schiff wehrlos. Ein oder zwei Alarmstarts und der Antrieb kann extrem beschädigt werden und kein Schiff ist unverwundbar oder mit Schutzschildern ausgestattet. Meteoriten sind des Raumfahrers größter Feind und selbst für den Posten des Schiffskochs, falls es den überhaupt noch gibt, muß man durch eine harte Schule gehen. Denn nur Disziplin und Verantwortung halten die Crew am Leben.
Lassen Sie mich meinen Artikel über die Welt des Commander Brandis nun mit dem Hinweis beenden, daß ich wirklich nur wenige Aspekte dieser grandiosen Reihe aus dem Herder Verlag ansprechen konnte. Ich kann jedem Freund der Literatur - ja, der Literatur und nicht nur der SF raten, die spannende, aufregende und dennoch realistische und in sich fundierte Welt der Weltraumpartisanen zu betreten und die Abenteuer jenes Mannes mitzuerleben, der nichts sosehr verabscheut wie das Abenteuer selbst - Commander Mark Brandis.