Interessengemeinschaft Mark Brandis

DEUTSCHSPRACHIGE SCIENCE-FICTION-AUTOREN (8): NIKOLAI VON MICHALEWSKY

Gut verpackte Warnungen

von Jörg Weigand

Mark-Brandis-Serie seit 1970 / Das Individuum steht im Mittelpunkt

Als sich der Herder Verlag im Jahre 1969 an den damals schon gut bekannten Jugendschriftsteller Nikolai von Michalewsky mit der Frage wandte, ob er nicht Lust habe, zwei, drei SF-Bücher zu schreiben, war der Anstoß gegeben für einen unerwartet lange anhaltenden Erfolg: 1970 bereits erschien der erste Band um den Raumschiff-Commander Mark Brandis, der inzwischen in der neunten Auflage vorliegt. Und regelmäßig folgen neue Abenteuer der umfangreichsten Jugend-SF-Serie in deutscher Sprache.
Geboren wurde Nikolai von Michalewsky am 17. Januar 1931 in Dahlewitz im preußischen Kreis Teltow. Er arbeitete nach dem Krieg als Hafenarbeiter, dann als Industriepolizist für »US-Labor Service« und als Kaffeepflanzer in Belgisch-Kongo. Am algerisch-französischen Krieg nahm er als Berichterstatter teil. In diese Zeit fällt auch die Veröffentlichung des ersten Buches, »Der Dynamitfahrer von Algier« (1958), nachdem Michalewsky zuvor bereits versucht hatte, in kurzen Erzählungen seine Erlebnisse in Afrika aufzuarbeiten.
Als sich der Herder Verlag 1969 mit seiner Anfrage an ihn wandte, hatte Michalewsky bereits über 30 Jugendbücher sowie Hörspiele und Fernsehsendungen veröffentlicht. Für einen Autor, der nach eigenem Bekunden überhaupt keine Science-Fction liest, war das Begehren des Verlags eine große Herausforderung. Und er stellte sich dieser Herausforderung, weil "... sich mir als Autor, wenn nicht die Möglichkeit, so doch die Hoffnung bietet, darauf hinzuarbeiten, daß das Individuum auch in der Zukunft einer Massengesellschaft seinen Rang behält und daß gefährliche Entwicklungen, die sich heute schon abzeichnen, nicht kritiklos hingenommen werden. Natürlich müssen solche Warnungen verpackt werden in Abenteuer und Unterhaltung".
Solcherart motiviert, entwarf der Autor eine engmaschig erzählte Geschichte der Zukunft unter dem Reihentitel »Weltraumpartisanen«, von der bis dato 27 Bände plus eine Sammlung kürzerer Erzählungen erschienen sind. Vordergründig handfestes Abenteuer, versucht die Serie, aktuelle Probleme aufzugreifen. Die augenblickliche politische und soziale Lage in vielen Teilen der Erde hat so Eingang gefunden in die Einzelbände, die damals entstanden. In allen Teilen der folgenden Serie geht es immer wieder um das Miteinander der Menschen und die Frage wechselseitiger Toleranz; Mark Brandis, der Titelheld.
Symbolfigur eines unnachsichtigen Kampfes gegen jede Polizeistaat-Willkür, gegen militaristisches Denken und gegen den Wahnwitz des Terrorismus. Freiheit und Demokratie und die Rechte des Individuums markieren diese Jugendbücher, die auch von Erwachsenen akzeptiert werden.
Doch neben allem sozialen Engagement weiß der Autor so überzeugend spannende Abenteuer zu erzählen, daß die "Mark Brandis"-Serie geeignet ist als Einstieg in die ernstzunehmende Science-Fiction. Da geht es um Raumpiraten und verrückte, skrupellose Wissenschaftler, außer Kontrolle geratene Menschenmaschinen und nationalistischen Aufruhr in der Dritten Weit. Der Leser erlebt Katastrophen und Havarien im Weltraum, sieht sich konfrontiert mit Meteoritenstürmen und der unheilvollen Sogwirkung eines jener geheimnisvollen "Schwarzen Löcher".
Kurz, das ist spannende Jugendliteratur in bester Form; kein Wunder also, daß es Bestrebungen bei anderen Verlagen gab, diesen Erfolg nachzuvollziehen. Und es spricht wohl für den Autor Nikolai von Michalewsky, daß dies bisher nicht gelang. Das gilt sogar für eine zweite Serie von Jugend-Science-Fiction, die der Autor 1982 im Loewes Verlag startete, und zwar mit dem Band "Omega 2 im Bannkreis der Venus". Nikolai von Michalewsky benutzte dafür das Pseudonym "Bo Anders". Held ist diesmal nicht ein von Gerechtigkeitssinn und Heldenmut geprägter Raumcommander, sondern ein Kind:
Bo, das Negermädchen Mo und die kleine Eskimodame Pu. Die drei haben bei einem Telequiz eine Reise zum künstlichen Planeten Terra 2 gewonnen. Unterwegs werden sie durch eine falsche Computerdiagnose abgestempelt als Träger einer gefährlichen Krankheit und auf der verlassenen Raumstation Observer 6 abgesetzt. Mit Hilfe des Piratenkapitäns O'Brien beginnt die Suche nach der Ärztin Ludmilla, einer Spezialistin für Raumkrankheiten; die ihnen ihren einwandfreien Gesundheitszustand attestieren soll.
Erkennbar für ein jüngeres Publikum als die »Mark-Brandis«-Serie geschrieben, war dem Raumschiff "Omega 2" kein überwältigender Erfolg beschieden. Zwar schob der Loewes Verlag 1983 noch einen zweiten Band, »Omega 2 und der Planet der Verschollenen«, nach, doch dabei ist es bisher geblieben.
Alles in allem kann man sagen, daß Nikolai von Michalewsky der Jugend-SF im deutschen Sprachraum entscheidende Impulse gegeben hat. Jedoch haben Epigonen der Brandis-Serie kaum einmal deren Qualität erreicht, schon gar nicht mit einer seit so langen Jahren laufenden Serie. Über die Bücher dieses Autors ist es Jugendlichen möglich, unter Umgehung der Heftreihen gleich mit guter Literatur ins Genre Science Fiction einzusteigen.